• Bernd Franke
  • Wandel (2014)
    (for violoncello solo, mixed choir and female choir)

  • Edition Peters Leipzig (World)
  • vc + fchmixedch
  • fchmixedch
  • Cello
  • 21 min
  • Christian Lehnert, Christian Lehnert, Friedrich Nietzsche, Pindar and Public Domain
    • 31st May 2024, Parochialkirche, Berlin, Germany
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Programme Note

WANDEL

(Langsam schreitet etwas voran, das bisher kaum meßbar noch wahrscheinlich ist, das vor aller Wahrnehmung liegt und darum noch keinen Anlaß zur Benennung gab, eher die Wörter selbst, welche es einzukreisen versuchen, voneinander entfernt, wie Eisschollen in einer Strömung, ja, es wandelt sich gar nichts, weil Umfassenderes in Bewegung gerät als Wandelbares. Klima? Der Mensch? Der Raum?)    

 

Prolog

„Unschuld ist das Kind und Vergessen,
ein Neubeginn, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad,
eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-Sagen.“[i]

 

Erster Zeuge: Das Tier

Nur die Maschinen sind noch wach
im Graufraß, Reif auf weiten Gründen,
wohin die langen Wege münden,
das Nadeltreiben ist entfacht,

das Suchen ohne eine Gabe,
das Hamstern ohne eine Habe.
Begriffen im Verschwinden: Was?
Zergraben liegt das Tiergelaß.

Ein Dachs flieht taumelnd, wo der Steinschlag pocht,
ein fremder Strahl traf seine Schläfen.
Er kroch zurück zu seinem Loch, 

doch fand nichts mehr, und drehte sich
verwirrt um sich, um seine Schläfen,
um seinen Schatten, schräg im Licht.

 

Interludium

„Tagwesen. Was aber ist einer? Was aber ist einer nicht?
Der Schatten Traum, sind Menschen.“[ii]   

 

 Zweite Zeugen: Die Vertriebenen

Am Wegrand, die Plejaden tauchen ins Gehölz.
Kein wirkliches Dunkel. Die Stadt ist zu nah, der Kreis
derer, die sich bewegen.

Die Schienen schneiden sich in das Gehör wie Glas.
Die Stille des Farns ist lang ersehnt. Wo ein Wald war –
inzwischen ist es eine Brache.

Folge dem großen Schlangenrohr, der Ummantelung
lichtloser Ströme von Gas, dann über die Rampe
ins Fuchsgehege.

In einem Wartehäuschen hatten wir Unterschlupf,
schauten ungeduldig ins Dunkel. Nah lag ein Stadion,  
die Ränge leer.

Daß jemand eine Geschichte sagen könnte, sich Zeuge
nennte, daß Hagel liegen bliebe auf der blanken
Plane der Erinnerungen,

daß auch dies alles für vorläufig erklärt sei ... Am Ende
meines Weges, am Anfang eines weiteren. Einen Gott 
zu haschen, sei ohne

Gewinn. Doch Gnade. Einziges,
was niemandem gehört, noch zu Diensten steht.

 

Dritte Zeugen: Die Ruhenden

Du Gründer aller Stern … die Störche
am Himmel, Flügelschläge, was geschah
und was verging, und bei sich blieb im Schwinden,

sie ziehen fort, und alles zu verwinden,
gibt es die Route, die sie immer führt, 
ist Sternenlicht so klar und ungerührt.

 

Epilog: Der Frühling

Du darfst die Tage nicht behandeln,
so als wären sie gewesen! Nahen sie doch,
wie des Nachts am Himmel unentschieden ist,
ob morgen Hagel, Schnee fällt, ob es wärmer weht.
Ja, Angst steckt in den Blumen, wenn sie noch
geschlossen sind, bevor ihr Bild sie löscht.

 


[i] Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Die Reden Zarathustras: Von den drei Verwandlungen

[ii] Pindar, Achte Phytische Ode, Übersetzung von Friedrich Hölderlin

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